Christine Schlatter

SKU 91 2010

«Fleischexpertin mit Biss und Weitsicht»

Christine Schlatter hat bei der Bell Schweiz AG die Geflügelsparte mittels neuer Strategie auf Erfolgskurs gehalten. Als Führungsperson setzt die Managerin des Schweizer Fleischmarktführers im tierischen Geschäft auf Menschlichkeit und Ideenvielfalt.

Strahlen um die Wette an einem Morgen im Juni. Hinter der Scheibe leuchtet – bis zu diesem Zeitpunkt ganz ungewohnt in diesem Jahr – die Sonne. Drinnen lacht Christine Schlatter, als sie ihr Büro betritt. In ein so helles Licht getaucht sieht sie ihr Stehpult und den bestuhlten Sitzungstisch heute zum ersten Mal. Denn die Managerin der Bell Schweiz AG hat das Office am Sitz im solothurnischen Oensingen am 1. April bezogen, quasi mitten im Winter. Der Umzug ist Folge einer Reorganisation beim Marktführer im Schweizer Fleischgeschäft. Zuvor hatte Schlatter am Standort in Zell LU fünf Jahre lang den Bereich Geflügel von Bell Schweiz geleitet. Dieser wurde im Rahmen der Neustrukturierung unterteilt. Seit dem 1. April 2013 sind ihr die Geschäftseinheiten Verkauf/Marketing und Seafood unterstellt.

Neues Jobprofil, altes Engagement: «Karriereleitern, Hierarchiestufen und solche Dinge interessieren mich weniger. Neue Aufgaben empfinde ich in erster Linie als attraktive Herausforderung», so Christine Schlatter. Vor dem 1. April war sie Chefin von 450 Mitarbeitenden. Heute sind es «nur» noch deren 225, verteilt auf fünf Bell-Standorte. Solche Zahlen sind ihr egal. Nicht aber die Menschen dahinter. «Ich könnte auch 50 oder 900 Angestellte führen. Zentral ist für mich, dass ich die Mitarbeitenden persönlich kenne.» Das meint die Managerin ernst. Sie montiert immer wieder Gummistiefel und Hygiene-Schutzbekleidung, um sich mit allen Teammitgliedern in den kühlen Produktionshallen auszutauschen und den Puls zu fühlen.

«Ich provoziere gezielt ein Meinungschaos»

Führen mit Herz ist für Christine Schlatter im wenig zimperlichen Fleischgeschäft keine Randnotiz. Menschlichkeit und Empathie sind ihr wichtig. Nicht nur, weil sie auch selbst gern mit Respekt und Wertschätzung behandelt wird. «Motivierte Mitarbeitende sind auch viel effizienter und kreativer.»

Die Managerin fördert aktiv die Ideenvielfalt. Zu Strategiesitzungen bietet sie stets auch Personen aus der zweiten Führungslinie auf. «Ich provoziere in der kreativen Phase gezielt ein ‹Meinungschaos›, aus dem ich die besten Inputs zu optimalen Lösungen zusammenführe.» So denkt und tickt Christine Schlatter. Pragmatisch und zielorientiert, immer auf Zack.

Auch ungemütlich kann sie werden. Dann, wenn Mitarbeitende die von der Chefin gewährten Freiheiten missbrauchen oder nicht das geforderte Tempo gehen. «Manchmal bin ich vielleicht etwas ungeduldig», räumt sie ein. Das hat mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Zielstrebigkeit zu tun. Die einzige Frau im siebenköpfigen Geschäftsleitungsgremium von Bell Schweiz hat nur eines im Sinn: die Marktführerschaft verteidigen und mit betriebswirtschaftlicher Weitsicht ausbauen.

Frische Ideen für Frischeprodukte

Man glaubt es ihr, denn ihre Loyalität zum Arbeitgeber hat sie unter Beweis gestellt. So etwa vor drei Jahren, als sich die Notwendigkeit einer Strukturerneuerung bei Bell Schweiz abzeichnete. Christine Schlatter zögerte nicht und buchte eine Weiterbildung. Ziel: die eigenen Führungskompetenzen perfektionieren und eine neue Strategie für den von ihr damals geführten Geschäftsbereich Geflügel entwickeln. Sie entschied sich für das SKU Advanced Management Program, das ihr intern empfohlen worden war.

Die Mühen haben sich gelohnt. Christine Schlatters Strategiepapier wurde von der Bell-Geschäftsleitung und vom Verwaltungsrat abgesegnet und umgesetzt. Ein Kernelement ist die klarere Positionierung von Produkten und der Marke Bell. Dabei helfen etwa Qualitätslabels. «Wir beschäftigen eigene Tierärzte und Agronomen, die Fütterung und Haltung der Tiere unserer Lieferanten peinlichst genau kontrollieren», hält Christine Schlatter fest. Bei der «integrierten Tierproduktion», wie sie von Bell praktiziert werde, seien auch Verarbeitung und Vertrieb des Fleischs zentrale Erfolgsfaktoren. Der Handel mit verderblicher Ware ist wegen kurzer Bestell- und Lieferrhythmen anspruchsvoll. Die Managerin hat deshalb die Logistikprozesse in der Geflügelsparte überarbeitet. Sie hat die Lagerkapazitäten erweitert und Verarbeitungs- sowie Vertriebsabläufe beschleunigt. Mit Erfolg. Dank der optimierten Logistik konnte Bell den Anteil von wertschöpfungsreichen Frischewaren in der Produktion markant erhöhen und damit einen höheren Deckungsbeitrag erzielen. Zwischen 2008 und 2013 hat Christine Schlatter den Beitrag des Geschäftsbereichs Geflügel am Gesamterfolg von Bell Schweiz überproportional gesteigert. Ein toller Leistungsausweis.

Auf den Lorbeeren ausruhen ist für sie kein Thema. «Ich sehe mich als Macherin, nicht als Verwalterin.» Neue Projekte warten. Im September dieses Jahres will Bell die Ausarbeitung einer neuen Absatzmarktstrategie in Angriff nehmen. An vorderster Front mit dabei: Christine Schlatter. «Das macht mir Spass, denn ich liebe mein Metier.» Sie steht jetzt im Büro, die helle Sonne im Rücken. Es geht noch zum kurzen Fototermin. Dann taucht sie wieder ein in die komplexe Welt der Fleischverarbeitung. Ein wichtiger Termin in der Oensinger Fleisch-Produktionshalle steht an.

Text: Robert Wildi

Christine Schlatter

hat von 2008 bis 2013 den Bereich Geflügel bei der Bell Schweiz AG geleitet. Nach einer Reorganisation ist sie seit dem 1. April 2013 für die Geschäftseinheiten Verkauf/Marketing und Seafood zuständig. Zur Bell-Gruppe ist Christine Schlatter vor rund 16 Jahren gestossen, nachdem sie in der Lebensmittelindustrie verschiedene Kaderpositionen bei anderen Unternehmen bekleidet hatte. Christine Schlatter wohnt in Meggen LU und ist ledig. 2010 absolvierte sie das SKU Advanced Management Program.

Bell Schweiz AG

Im Jahr 1869 eröffnete der Metzgermeister Samuel Bell in Basel seine «Ochsenmetzg» und legte damit den Grundstein für eine bald 150-jährige Erfolgsgeschichte. Mit einem Jahresumsatz von über CHF 2,5 Mrd. sowie 27 Produktionsbetrieben mit rund 6500 Mitarbeitenden ist Bell heute der grösste Schweizer Fleischverarbeiter. Rund ein Drittel des Erlöses wird mit den Auslandniederlassungen in Deutschland, Frankreich und Osteuropa/Benelux erzielt. Die Bell-Gruppe mit Konzernsitz in Basel wächst auch mittels Zukäufen. Die letzte Akquisition war eine 49-Prozent-Beteiligung am Convenience-Food-Spezialisten Hilcona AG aus dem Fürstentum Liechtenstein.